Nixenherz läuft am 13. September bei KindleUnlimited aus und ist dann auch bei Tolino, Thalia, Hugendubel & Co. verfügbar. Aus diesem Anlass möchte ich mich bei allen bisherigen Lesern mit einer kleinen Bonus-Geschichte bedanken, die aus Sicht des Kelpies Avin erzählt, wie er Yrssa gefunden hat. Angehängt habe ich auch noch ein paar Hintergrundinfos zur mythologischen Figur des Kelpies. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
Avins Story
Avin warf einen mürrischen Blick zurück zum Palast. Ljanaan, die alte Miesmuschel, hatte ihn Schlafen geschickt, weil er seine Ruhe haben wollte, aber er war überhaupt nicht müde. Am Nachmittag hatte er auf dem Felsen im See gesessen, und während er sich die Sonne auf die Haut hatte scheinen lassen, war er eingedöst. Nachdem er eine Weile ziellos im Garten herumgeschwommen war, machte er sich auf den Weg zur Oberfläche. Er wollte ins Dorf gehen, aber als er den nächtlichen Himmel über sich sah, fiel ihm ein, dass die meisten Menschen um diese Zeit in ihren Betten lagen und er auf der Straße kaum jemanden antreffen würde. Ob er trotzdem etwas zu essen finden könnte? Natürlich gab es im See massenhaft Algen, viel zu viele, genau genommen, aber tagein tagaus Algen zu fressen, hing ihm zum Hals heraus. Es gierte ihn nach einer anständigen Mahlzeit. Er hätte am Nachmittag wenigstens ein paar Fische fangen sollen, aber stattdessen hatte er vor sich hin geträumt. Hatte von seinen Brüdern geträumt, davon, wie sie gemeinsam in den Wellen gespielt hatten.
Seufzend drehte Avin sich auf den Rücken und ließ sich im Wasser treiben, mit der Schwanzflosse leicht gegen die Strömung ansteuernd, während er die Sterne über sich betrachtete, die immer wieder von vorbeiziehenden Wolken verdeckt wurden. Die Stille bedrückte ihn heute besonders. Dabei war ihm Einsamkeit wahrlich nicht fremd. Doch daran gewöhnen konnte er sich deswegen noch lange nicht. Warum nur hatten seine Brüder ihn nicht mitgenommen, als sie gegen den König zu Felde gezogen waren? So sehr er sie vermisste, wurde er gleichzeitig jedes Mal wütend, wenn er sich daran erinnerte, wie Ahearn zu ihm gesagt hatte, er sei noch zu jung. Er war verdammt noch mal nicht zu jung gewesen, um an ihrer Seite zu kämpfen! Wie hatten sie ihn dazu verdammen können, der letzte verbliebende Kelpie in diesem See zu sein? Der einzige?
Wie immer, wenn er an seine toten Brüder dachte, wurde sein Blick unscharf und er blinzelte. Schniefend zog er die Luft hoch. Sie hatten ihn alleingelassen. Hatten sich allesamt von den verfluchten Menschen töten lassen.
Stimmen, die über den See drifteten, weckten seine Aufmerksamkeit. Avin tauchte unter, bis nur noch seine Augen zu sehen waren, und musterte das Ufer. Er erkannte schemenhaft zwei Gestalten, die sich an einem Ruderboot zu schaffen machten. Sie hievten etwas hinein und stiegen dann selbst in das Boot, bevor sie sich mit den Rudern vom Ufer abstießen. Avin wartete ab, bis die Ruderer sich der Mitte des Sees genähert hatten, bevor er neugierig näher schwamm. Nur selten wagten sich die Menschen noch auf den See. Sie fürchteten die Rache der Herrin dieses Gewässers. Avin hätte sich gewünscht, ihre Angst wäre begründet, doch die Nixe war zu Schaum zerfallen und nachdem seine Brüder bei dem Versuch, ihr gestohlenes Herz zurückzuholen, gescheitert waren, gab es für sie keine Möglichkeit aufzuerstehen, selbst wenn ihre Seele tatsächlich noch irgendwo existierte, woran Ljanaan so gern glauben wollte. Womit er allerdings allein dastand. Vor einigen Jahren war der Fomori fast aus seinem Panzer gesprungen, weil der See ohne erkennbaren Grund über die Ufer getreten war. Ljanaan hatte etwas davon gefaselt, die Nixe sei dabei zu erwachen. Dieses eine Mal hatte Avin sich von seiner Hoffnung anstecken lassen und was war passiert? Nichts. Der See hatte sich wieder beruhigt und alles war wie gehabt. Wem wollte der Fomori noch etwas vormachen?
Die Männer im Boot legten die Ruder weg. Was mochten sie vorhaben? Wollten sie fischen? Da würden sie um diese Nachtzeit nicht viel Glück haben.
Avins Magen knurrte vernehmlich und er tauchte rasch tiefer, obwohl die Menschen ihn sicher nicht gehört hatten. Ob er es wagen sollte? Es war schon eine Weile her, seit er einen Menschen gefressen hatte. Ein junges Mädchen, das ertrunken war. Ihr Fleisch war köstlich gewesen. Allein bei dem Gedanken lief ihm das Wasser im Maul zusammen. Es sollte nicht so schwierig sein, das kleine Boot zum Kentern zu bringen.
Während er Boot und Mannschaft beäugte, hoben die beiden Männer das Bündel auf, das sie im Rumpf abgelegt hatten. Avin war zu weit entfernt, um zu erkennen, um was es sich dabei handelte, aber es sah aus, als wäre es in einem Netz eingewickelt. Und es zappelte. Ein Fisch? Avin schüttelte den Kopf. Menschen waren wirklich seltsam. Seit wann warfen sie Fische zurück ins Wasser? Noch dazu einen, den sie sicher nicht in diesem See gefangen hatten. So große Fische gab es hier nicht. Leider.
Plötzlich hörte er einen Schrei und das Bündel zappelte stärker. Hatte da ein Mädchen geschrien? Avin vergaß seine Vorsicht und tauchte ein Stück aus dem Wasser auf, um das Geschehen besser verfolgen zu können. War in das Netz ein Mensch eingewickelt? Die Männer schwenkten ihre zappelnde Last über die Reling und ließen sie fallen. Das Netz und sein Inhalt sanken in die Tiefe. Avin zögerte nur einen Moment. Die Aussicht auf zartes Mädchenfleisch entschied die Sache. Er vergaß das Boot und tauchte dem Bündel nach. Es war bereits auf den Grund gesunken, als er es endlich erreichte. In dem Netz lag tatsächlich ein Menschenmädchen. Avin leckte sich über die Lippen. Zur Sicherheit stupste er es mit einem Vorderhuf an. Es rührte sich nicht. Umso besser. Er war sich nämlich gar nicht so sicher, ob er es hätte töten können. Aber glücklicherweise blieb ihm diese Entscheidung erspart.
Er riss mit den Zähnen an dem Netz, als neben ihm ein Schatten auftauchte. Avin fuhr zusammen. „Ljanaan! Musst du dich immer so anschleichen?“
„Ich schleiche nicht“, erwiderte der Fomori pikiert und seine Augen sanken noch etwas weiter in seine Falten, als er die Stirn runzelte und mit den Scheren klickte. „Du wirst dieses Mädchen nicht fressen, Avin.“
„Was? Wieso? Ich habe es gefunden. Sein Fleisch gehört mir!“
Ljanaan schnalzte missbilligend mit der Zunge, als sei Avin von zu schlichtem Gemüt, das Offensichtliche zu begreifen. „Das ist kein Mensch, das ist die Herrin.“
Fassungslos schaute Avin den Fomori an. War die alte Miesmuschel jetzt komplett übergeschnappt? „Schieb dir mal die Wasserschnecken aus den Augen, Ljanaan. Ich werde wohl einen Menschen erkennen, wenn ich einen sehe. Und dieser hier ist tot.“ Zur Unterstreichung seiner Worte ließ sein Bauch ein weiteres Grollen hören. „Siehst du? Mein Magen irrt sich nicht.“
Ljanaan beachtete ihn überhaupt nicht. Seine Scheren machten mit den restlichen Maschen kurzen Prozess, bevor er sich über das Mädchen beugte, das vom Wasser leicht hin und her bewegt wurde, so dass man für einen Moment den Eindruck gewinnen konnte, es sei tatsächlich noch am Leben. Der Fomori legte eine Hand auf die Brust des Mädchens und schloss die Augen. Avin hatte keine Ahnung, was er damit bezweckte, aber als er sich wieder aufrichtete, lagen auf seinem Gesicht eine Freude und Zuversicht, die in Avins Eingeweiden ein merkwürdiges Ziehen auslösten.
„Sie ist es! Die Herrin ist in dieses Menschenmädchen geschlüpft!“
Ljanaans Stimme raspelte vor Aufregung und seine Augen funkelten so lebendig, wie Avin es an ihm noch nie gesehen hatte. Zweifelnd betrachte er den schlaffen Körper des Mädchens, wobei er sich bemühte, das hoffnungsvolle Ziehen in seinen Eingeweiden zu ignorieren. Hoffnung kam vor Enttäuschung. „Mach dir doch nichts vor, Ljanaan. Das ist–“
„Genug!“, schnitt Ljanaan ihm das Wort ab. „Bring sie an die Oberfläche, schnell! Sonst ertrinkt sie noch.“
Avin zuckte mit den Schultern. Das Mädchen war längst ertrunken, aber wieso sollte er sich mit dem Fomori streiten? Ljanaan würde noch früh genug merken, dass er sich geirrt hatte.
Wasserpferd (Each Uisge / Kelpie)
Kelpies gehören zu den mythologischen Wesen der Wasserpferde. Man findet sie von den britischen Inseln über Irland bis Skandinavien. Das Each Uisge bewohnt die schottischen Meeresküsten und binnenländischen Lochs, wohingegen man das Kelpie zumeist in den fließenden Gewässern des Hochlandes antrifft. In der keltischen Mythologie wird das Each Uisge als starkes und mächtiges Pferd beschrieben. Es dient dem Hofe des Meeresgottes als Reit-, Zug- und Lasttier. Es tritt in Gestalt eines großen Pferdes, manchmal mit Fischschwanz, auf. Sein Fell ist schwarz oder weiß, die Haut ähnelt der einer Robbe. Als Gestaltwandler kann es sowohl als Pferd als auch als Mensch in Erscheinung treten. Man erkennt es lediglich am Seetang in Mähne oder Haaren. Allen Wasserpferden ist zu Eigen, dass sie Menschen anlocken, um sie im Wasser zu ertränken und zu fressen. Nur die Leber ihrer Opfer bleibt, an der Oberfläche treibend, zurück.
Auf YouTube findet ihr einen englischen Kurzfilm über das Schicksal eines unglücklichen Familienvaters, der versuchte, ein Kelpie zu reiten: The Kelpie
Gelingt es jemandem allerdings, ein Kelpie aufzutrensen, muss es diesem zu Diensten sein.
Der Sänger Die Band (ich danke Barbara Schmidt für den Hinweis, ich kannte diese Band vorher nicht) Jethro Tull hat dem Kelpie in seinem ihrem Album Stormwatch (1979) sogar einen eigenen Song gewidmet:
Refrain:
Up, ride with the kelpie
I’ll steal your soul to the deep
If you don’t ride with me while the devil’s free
I’ll ride with somebody else
Den kompletten Text könnt ihr hier lesen: https://www.songtexte.com/songtext/jethro-tull/kelpie-53d71bd1.html